Wiese oder dichter Urwald? So denkt die Megaherbivoren-Theorie

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Sah es bei uns einst aus wie in der Serengeti? Oder bedeckte undurchdringlicher Wald einst unsere Landen? Die Megaherbivoren-Theorie gibt darauf eine faszinierende Antwort und liefert Ansätze für innovativen Arten- und Naturschutz. Wir stellen Euch die Theorie hier vor.

Wisente. Teil der Megaherbivoren-Fauna | Andrzej Kułak auf Pixabay

Riesige Herden wilder Pferde grasten einst in den Ebenen unserer Heimat. Wisente gesellten sich dazu, Hirsche und Rehe ebenso. Waren große Tierherden, wie wir sie heute aus Afrika kennen, ein vertrautes Bild für die ersten Menschen, die Europa besiedelten? Vieles spricht dafür. Wir wollen euch die zugrundeliegende Theorie vorstellen und erklären, was diese mit modernen Ansätzen zum Erhalt der Artenvielfalt im Großen wie im Kleinen zu tun hat.

Was ist die Megaherbivoren-Theorie?

Die Megaherbivoren-Theorie geht davon aus, dass Mitteleuropa vor der intensiven menschlichen Besiedlung nicht aus durchgehenden Urwäldern bestand, sondern aus einer Parklandschaft mit offenen Flächen, Wäldern und Übergangszonen – geformt durch große Pflanzenfresser. Wisente, Auerochsen, Wildpferde, Elche und andere Megaherbivoren sollen durch Fraß, Tritt, Dung und Bewegung das Landschaftsbild entscheidend beeinflusst haben.

Solche Tiere hielten Gehölze klein, öffneten den Boden, verbreiteten Samen und schufen ein dynamisches Mosaik aus Wald, Wiese und Strauchzonen – ähnlich der heutigen afrikanischen Savanne. In diesem Licht betrachtet, wird klar: Auch Mitteleuropa könnte einmal wild und weit gewesen sein.

Was sagen Wissenschaft und Archäologie?

Die Beweislage ist komplex: Fossilienfunde, Knochen, Zahnabdrücke und Pollenanalysen zeichnen ein gemischtes Bild. Zwar deuten viele Daten auf waldreiche Verhältnisse hin, aber auch auf Offenflächen und Übergangszonen. Entscheidend ist: Viele heute bedrohte Arten – wie Eichenkeimlinge, Wildbienen, das Haselhuhn oder bestimmte Schmetterlinge – sind auf halboffene Lebensräume angewiesen.

Ein weiterer Hinweis findet sich in den historischen Hutewäldern: Diese durch Vieh beweideten Waldlandschaften des Mittelalters waren Hotspots der Artenvielfalt. Strukturreich, lichtdurchflutet und vielfältig – sie ähneln in ihrer Dynamik jenen halboffenen Systemen, die auch die Megaherbivoren-Theorie beschreibt. Hier treffen sich Archäologie, Ökologie und Geschichte auf bemerkenswerte Weise.

Ein kurzer Blick auf modernes Rewilding

Moderne Rewilding-Ansätze greifen diese Überlegungen auf und versuchen, durch naturnahe Beweidung, Prozessschutz und Artenwiedereinbürgerung verlorene Dynamiken zurückzubringen. Ob im großen Maßstab oder im Kleinen – vieles deutet darauf hin, dass ein gezielter Rückgriff auf natürliche Prozesse unser Verständnis von Naturschutz verändern kann.

→ Lies hier weiter: Rewilding Landscapes – Warum wir neue Konzepte im Artenschutz brauchen

Rewilding-Projekt mit großen Grasern (Megaherbivore) | Quelle Pixabay

Die Megaherbivoren-Theorie regt dazu an, unsere Landschaft neu zu denken. Auch wenn Mitteleuropa wohl nie eine echte Serengeti war: Eine dynamische, halboffene Struktur war vermutlich weit verbreitet – und könnte auch heute wieder ein Schlüssel zur Förderung der Biodiversität sein. Statt alles zu steuern, könnten wir wieder mehr den Tieren und Prozessen vertrauen – wenn wir ihnen den Raum dafür lassen.