Ob Brokkoli oder Bolognese – was wir essen, ist längst nicht mehr Privatsache. Gerade in Büros, Kantinen oder Schulen wird das Mittagessen zur Bühne. Wer sich gesund, nachhaltig oder einfach anders ernährt, bekommt schnell Kommentare zu hören. Manche sind harmlos gemeint. Andere verletzen. Wenn Essen plötzlich zur Mutprobe wird, ist das alles andere als cool. Es ist was es ist: Mobbing.

Foodshaming beschreibt dieses Phänomen: das Abwerten, Belächeln oder Kritisieren von Essgewohnheiten. Es ist weit verbreitet – und selten harmlos. Denn hinter scheinbar beiläufigen Bemerkungen verbergen sich oft tieferliegende Haltungen zu Identität, Körper, Moral oder Gruppenzugehörigkeit.
Was genau ist Foodshaming?
Foodshaming bezeichnet das Bloßstellen oder Herabsetzen von Menschen wegen ihres Essverhaltens. Das kann direkt oder subtil passieren – etwa durch spöttische Kommentare, irritierte Blicke oder ständiges Nachfragen. Beispiele:
- „Na, wieder dein Hasenfutter dabei?“ – gegenüber vegetarischer oder veganer Ernährung
- „Schon wieder Fleisch? Und du redest von Umweltschutz?“ – moralisch überhöhter Vorwurf
- „Das isst du ernsthaft kalt?“ – unterschwellige Abwertung von Gewohnheiten
- „Was ist das für ein Bio-Kram?“ – belächelnde Haltung gegenüber nachhaltiger Ernährung
Solche Aussagen wirken selten konstruktiv. Sie erzeugen Rechtfertigungsdruck, Unsicherheit – oder sogar Scham.
Warum Foodshaming mehr ist als nur ein blöder Spruch
Was wie ein lockerer Spruch klingt, kann tief treffen. Denn beim Essen geht es nicht nur um Kalorien – sondern auch um Identität, Kontrolle, Zugehörigkeit. Die Folgen von Foodshaming reichen deshalb weiter, als viele glauben:
Psychologisch belastend
Foodshaming kann Scham und Selbstzweifel auslösen. Gerade bei Menschen mit Essstörungen, chronischen Erkrankungen oder sensiblen Körperbildern sind Kommentare über das Essen besonders verletzend. Auch wer sich bewusst ernährt, fühlt sich schnell in der Rechtfertigungsschleife.
Sozial ausgrenzend
Wer anders isst, stört manchmal unbewusst das Gruppengefüge. In Kantinen, Schulen oder Teams zählt oft das Mitmachen – nicht das Anderssein. Wer sich nicht anpasst, wird schnell zum Außenseiter oder Zielscheibe von Kommentaren.
Gesellschaftlich engstirnig
Essen ist Ausdruck von Vielfalt – kulturell, gesundheitlich, religiös oder ethisch. Foodshaming ignoriert das. Statt Verständnis zu fördern, wertet es ab und grenzt aus. Dabei wäre genau hier Offenheit gefragt.
Foodshaming ist Alltagsmobbing
Wird aus gelegentlichen Kommentaren ein ständiges Thema, kann Foodshaming in Mobbing übergehen. Wer regelmäßig zum Ziel von Witzen, Blicken oder Kritik wird, erlebt Ausgrenzung – oft subtil, aber kontinuierlich. Gerade in hierarchischen Strukturen wie Schule oder Betrieb ist das gefährlich. Die psychischen Folgen können erheblich sein – und bleiben oft unerkannt.
Warum Menschen andere für ihr Essen kritisieren
Hinter Foodshaming steckt selten echtes Interesse – sondern häufig eigene Unsicherheiten. Typische Gründe:
- Neid oder schlechtes Gewissen: Wer selbst gerne gesünder leben würde, fühlt sich durch andere provoziert – und reagiert mit Abwertung.
- Gruppenzwang: Wer sich anders ernährt, stört den Status quo. Abwertung dient oft der Selbstvergewisserung in der Gruppe.
- Kontrollbedürfnis: Besonders in Machtstrukturen wird Foodshaming als subtiler Ausdruck von Dominanz genutzt.
- Ideologische Verhärtung: Ob vegan oder fleischbetont – extreme Standpunkte schüren Konfrontation statt Austausch.
- „War doch nur Spaß“: Humor dient oft als Deckmantel für Grenzverletzungen – auf Kosten anderer.
Essen ist politisch – und wird schnell moralisch
Was wir essen, hat Auswirkungen: auf unsere Gesundheit, das Klima, das Tierwohl, die globale Gerechtigkeit. Kein Wunder also, dass Ernährung immer öfter politisch aufgeladen wird – und zur Projektionsfläche für Meinungen und Haltungen wird.
Hier beginnt das, was man Foodblaming nennt: Das Zuschreiben von Schuld oder Verantwortung auf Basis der Ernährung. Typisch dafür sind Aussagen wie:
- „Wer Fleisch isst, ist mitverantwortlich für den Klimawandel.“
- „Dein Bio-Kram bringt auch nichts, wenn du Avocados kaufst.“
- „Mit deinem Soja aus Brasilien rettest du auch keine Welt.“
Diese Argumentationen mögen inhaltlich fundiert sein – sie entgleisen jedoch, wenn sie nicht zum Dialog, sondern zur Verurteilung führen.
Denn: Moralischer Druck erzeugt oft Gegenwehr statt Einsicht. Und wer mit Schuldzuweisungen arbeitet, riskiert, dass echte Veränderungen blockiert werden.
Foodblaming und Foodshaming haben dabei etwas Gemeinsames: Sie bewerten, ohne zu fragen. Und sie ignorieren, dass Ernährung immer auch von persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Umständen geprägt ist.
Wer Veränderung will – sei es für sich selbst oder die Welt – erreicht sie nicht über Belehrung, sondern über Verständnis, Aufklärung und Respekt.
Ernährung ist auch eine Frage des Gehalts
Nicht jede Mahlzeit ist Ausdruck von Überzeugung – manchmal ist sie einfach pragmatisch. Wer auf günstige Fertiggerichte zurückgreift, tut das womöglich aus Zeit- oder Geldmangel.
Bio-Produkte, frische Küche oder spezielle Diäten sind nicht für alle zugänglich – weder finanziell noch organisatorisch. Foodshaming übersieht diese soziale Komponente. Und stellt Menschen bloß, die schlicht das Beste aus ihrer Situation machen.
Wie man Foodshaming erkennt – und damit umgeht
Foodshaming ist nicht immer offensichtlich. Oft tarnt es sich als Interesse, Fürsorge oder Humor. Wer sensibel wird für die Muster, kann besser reagieren:
Typische Signale:
- Ständige Kommentare über das Essen anderer
- Spott, Ironie oder belehrender Ton
- Auslachen oder Nachäffen
- Fragen, die wie Vorwürfe klingen
So kannst du dich schützen:
- Gelassen bleiben: Nicht jede Bemerkung verdient eine Reaktion.
- Grenzen setzen: Ein ruhiges „Bitte kommentier mein Essen nicht ständig“ kann viel bewirken.
- Allianzen bilden: Oft sind andere ebenfalls betroffen oder verständnisvoll.
- Selbstbewusst bleiben: Wer aus Überzeugung oder Notwendigkeit anders isst, braucht sich nicht zu rechtfertigen. Ernährung ist persönlich. Punkt.
Vielfalt auf dem Teller braucht Vielfalt im Kopf
Ob Butterbrot, vegane Bowl oder Reste vom Vortag – jeder Mensch isst nach eigenen Maßstäben, Möglichkeiten und Werten. Foodshaming entwertet diese Individualität. Und verpasst die Chance, voneinander zu lernen.
Statt zu urteilen, könnten wir fragen:
Warum isst du das? – nicht im Ton der Kritik, sondern im Ton der Neugier.
Denn wenn Essen verbindet statt trennt, ist viel gewonnen.
Foodshaming am Arbeitsplatz – 5 Dinge, die helfen
- Vorleben statt predigen
Wer sich selbstbewusst und freundlich ernährt, sendet das stärkste Signal – ganz ohne Worte. - Kommentarfreie Zone einfordern
Ein freundlicher Hinweis: „Können wir das Essensthema lassen und über was anderes reden?“ wirkt oft besser als Konfrontation. - Nicht zurückschießen
Gegenshaming („Ach, und du nennst das gesund?!“) eskaliert nur. Besser: klare Haltung, ruhiger Ton. - Verantwortliche sensibilisieren
In Schule oder Betrieb sollte es Ansprechpersonen geben – Foodshaming ist ein Thema für Präventionsarbeit. - Solidarität zeigen
Wer andere vor Kommentaren schützt oder beiläufig beisteht, verändert Gruppendynamik oft mehr, als man denkt.